René Gabriel – ein aktuelles, etwas anderes Interview

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Weinkritiker René Gabriel

René Gabriel, Jahrgang 1957, braucht man dem weininteressierten Publikum nicht vorstellen. Der renommierteste Weinkritiker im deutschsprachigen Raum ist bekannt durch seine Publikationen „Bordeaux total“, „Weingeschichten“ oder seine „Wein-Bibel“.

Er war 15 Jahre Chefeinkäufer der Mövenpick-Weinhandelsgruppe und betreibt seine Internet-Seite bxtotal.com, die sich mit der Bewertung der Rebsäfte links und rechts der Gironde befasst. Dabei nimmt René Gabriel bei seinen Degustationsnotizen nie ein Blatt vor den Mund; der Leser weiß, woran er ist, und René kommentiert oft genug mit einem Zwinkern im Auge und mit gehöriger Portion Humor. Genial ist auch sein Gabriel-Glas, welches allen Weinsorten und Farben gerecht wird und einen wunderbaren Trinkgenuss ermöglicht!

Das folgende Interview haben wir – Corona sei´s verflucht – per E-Mail mit René geführt. Wir haben uns dabei auch bemüht, Fragen zu stellen, die ein bisschen aus dem Rahmen fallen und unserem Interviewpartner nicht ständig „unter die Nase“ gehalten werden.

Hallo René, wie geht es Dir im Moment und was treibst Du in dieser durch Covid-19 gelähmten Zeit?

Geschäftlich: Ich annulliere Anlässe und Reisen. Ich verschiebe diese auf immer längere Zeit oder bezahle bereits einbezahlte Beträge zurück.  

Privat: Wir machen mit Freunden „Weinwandern“ in kleinen Gruppen. Erst wandern wir, dann trinken wir Wein in einer Waldhütte und Grillieren dazu etwas. Und ich habe wieder mehr Zeit für meinen Weinkeller. Da bin ich jetzt öfters wie vor Corona-Zeiten.  

Was glaubst Du, wird sich durch Corona im Weinuniversum ändern? Kann die Pandemie vielleicht sogar auch positive Aspekte für die Weinwirtschaft nach sich ziehen?

Corona hat sicher dazu geführt, dass sich der Weinkonsum von der Gastronomie mehr in private Sphären bewegt hat. Insgesamt wird wohl eher mehr Wein wie vorher getrunken. Schließlich muss man seinem Körper etwas bieten, damit die Seele Lust hat darin zu wohnen. Positive Faktoren sehe ich wenig. Corona betrifft und straft alle, mehr oder weniger.

Du hattest seit einiger Zeit an den Primeurs in Bordeaux nicht mehr teilgenommen, sondern dies auf Deinen Nachfolger André Kunz übertragen. Nun seid Ihr bei den Fassproben gar nicht mehr dabei. Sind die Primeurs nicht mehr wirklich relevant für die Weinwelt?

Punkte werden immer weniger wichtig und das Marketing nimmt zu. Die Trittbrettfahrer auch. Die Margen schwinden und kleine Weinhändler mit weniger Infrastruktur können im Internet ohne großen Aufwand große Teamplayer unterbieten. Die Brands in Bordeaux sind etabliert. Wenn ein Jahrgang gut oder groß ist, erfährt man dies auch ohne Degustationslakaien. Gerade der Bordeaux 2019 hat gezeigt, dass es für den Erfolg drei Dinge braucht:

1. Einen guten Jahrgang.

2. Ein bekanntes, beliebtes Château.

3. Den richtigen Preis.

Und schon läuft es wieder, wie vor 15 Jahren.  

Wenn Du einem jungen Wein-Aspiranten die Faszination „Bordeaux erklären solltest, wie würdest Du diese beschreiben? Gibt es sie noch? Oder haben andere Weinbauregionen in Deinen Augen bereits so aufgeholt, dass Du Dein Plädoyer für Bordeaux heute nicht mehr halten würdest?

Ein Wein-Aspirant muss immer das zu finden suchen, was er mag und liebt. Die meisten finden in erster Linie zuerst ein Faible für Traubensorten und knien sich dann dort rein. Zum Bordeaux bin ich gelangt, weil mir ältere Weinfreaks solche Flaschen und dann die Augen geöffnet haben. Bordeaux ist nicht das Ziel, sondern möglicherweise ein Weg.  

Wir wissen, dass Du Musik magst und auch früher selbst Gitarre gespielt hast. Spontan geantwortet: Beatles oder Stones – welcher dieser beiden assoziierst Du mit dem Médoc und dem rechten Ufer? 

Weder Beatles noch Stones. Die sind mir zu laut. Die passen eher ins Libournais wo der Merlot rockt. Bordeauxweine sind defensiv, bedächtig, anmutig und mitunter leise. Da geht es in Richtung Klassik für mich oder in die Balladenschatulle. 

Die Außerirdischen landen auf diesem Weinplaneten. Vorausgesetzt sie mögen Wein; welchen Wein würdest Du Ihnen kredenzen, um den Olymp unserer Weinbaukunst am besten zu repräsentieren?

Schweizer Wein. Wir haben da viele gute. Wenn Sie dann weiter fliegen können sie in Deutschland deutschen Wein trinken und machen so eine veritable „Weinreise“.

Saint-Estèphe, Pauillac, Saint-Julien, Margaux, Saint-Émilion, Pomerol. Mit welchen Musikrichtungen würdest die Appellationen vergleichen und wo siehst Du die Parallelen?

Da bleibe ich bei der Klassik. Je Saint Estèphe, desto tiefgründiger. Bei Saint Julien kann es auch was leichteres sein. In Pauillac was lauteres. In Pomerol was volles. Warum Musik zu Wein? Das ist was für die Ohren. Viel lieber habe ich da etwas auf dem Teller was richtig gut passt. 

Wenn Du drei Wünsche bei einer Wein-Fee frei hättest – vielleicht die Trinkerbell – was stört Dich am meisten in der Weinwelt, was würdest Du grundlegend ändern?

Obwohl ich viele Tipps von mir gebe, bin ich nicht geschaffen um die Weinwelt zu verändern. Ich habe meine eigene Weinwelt und wer bei mir einloggt, auf Facebook, weingabriel.ch oder bxtotal.com, kann auf meinen Genüssen und Erfahrungswerten surfen. Eigentlich hätte ich nur einen Wunsch; dass oberflächliche Wein-Influencer keinen Zugang zu Social Media erhalten. 

Lieber René, vielen Dank für dieses launige Interview. Bleib gesund und erfreue uns noch lange mit Deinen Degustationen und Deinem Wissen!

Weinkritiker René Gabriel im Interview

Schließlich muss man seinem Körper etwas bieten, damit die Seele Lust hat darin zu wohnen.

René Gabriel
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