R wie Rheingau – eine Laune der Natur

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Deutschland ist ein Weinland! In dieser Serie stellen wir die dreizehn deutschen Weinbaugebiete für Qualitäts- und Prädikatswein vor. Thema dieses Beitrags ist das Weinbaugebiet Rheingau. Mit seiner außergewöhnliche Lage optimal für den Weinbau in deutschen Gefilden geeignet.

Hätte der Rhein vor Abermillionen Jahren nicht den Weg des geringsten Widerstands gewählt – das Rheingau würde es heute nicht geben. Vor den heutigen Städten Mainz und Wiesbaden türmten sich nach Osten und Norden das Rheingaugebirge bzw. Teile des Taunus auf. Also Plan B, dachte sich wohl der Rhein, und versuchte es vorerst nach Westen. Ein paar Jahrtausende lang kräftig drücken und es würde sicher irgendwann wieder nach Norden gehen, den kürzesten Weg zum Meer. Klappte aber nicht, und so entstand das sogenannte Rheinknie, an dessen nordöstlicher Flanke heute eines der kleinsten Weinanbaugebiete Deutschlands liegt, das Rheingau.

Die außergewöhnliche Lage dieser großen, nach Westen zeigenden Rheinkurve bedeutet am östlichen Ufer perfekt nach Süden oder Südwesten zeigende steile Hänge. Diese sind geradezu optimal für den Weinbau in deutschen Gefilden. Geschützt liegend von den nördlichen Winden ist diese geographische Einzigartigkeit eine ganz wesentliche Eigenschaft des Rheingaus. Dazu kommen Böden, die von Schiefer über Kiesel und Sandstein sowie Sandlöss so fast alles zu bieten haben, was aromatische und elegante Weine benötigen.

Spannende Geschichte

Aber vielleicht wäre alles ganz anders gekommen, hätte Karl der Große, prägender Kaiser des fränkischen Reiches im Europa des frühen Mittelalters, nicht an einem Frühlingstag versonnen auf seiner Pfalz in Ingelheim den Blick über den Rhein schweifen lassen. Verdutzt bemerkte er, dass der Schnee am gegenüberliegenden Hang am Johannisberg mit dem heute gleichnamigen Schloss früher schmolz als anderswo. Er fragte sein Gefolge, so die Legende, was es damit auf sich hätte. Da keiner ihm eine zufriedenstellende Antwort geben konnte, kam der erfahrene Stratege wohl selbst auf den wahren Grund: die ausgezeichnete Ausrichtung des Hanges zur Sonne erwärmte diesen einfach viel schneller als den Rest des Rheintales.

Karl der Große, der natürlich wie alle Herrscher der damaligen Zeit einen guten Wein nicht verschmähte, ordnete an, hier Reben anzubauen. Durch ihn wurden die Weinanbauflächen in der Folgezeit erheblich ausgedehnt. Der erste Weinbau auf dem Johannisberg ist aus dem Jahr 817 überliefert. Im benachbarten Walluf soll sogar bereits im Jahr 779 Wein angebaut worden sein.

Prägende Entdeckungen

Der Rheingau hat also eine ziemlich lange Weinbautradition, so dass alle Marken imfolgenden spannenden Zeitstrahl schwerlich in einen Blogtext zu fassen sind. Ein Datum ist allerdings für den gesamten Weinbau von – sagen wir – wegweisender Bedeutung. Es ist das Jahr 1775. Nur am bereits erwähnten Johannisberg durften seinerzeit die Trauben später gelesen werden, als in den anderen Gemeinden schriftlich festgelegt war. Die Erlaubnis dazu erteilte der Fürstbischof höchstpersönlich und ein reitender Bote überbrachte dem Kellermeister am Johannisberg in jedem Jahr quasi den Startschuss per Brief. Nun – in jenem Jahr wurde wohl der Reiter von Räubern aufgehalten und verspätetet sich so aus gutem Grund um 14 Tage. Die andere Variante der Geschichte, nach der der Fürstbischof auf einem Jagdausflug war, und sich in Zeiten begrenzter Kommunikationsmittel nicht erreichen ließ, wurde vom bischöflichen Amt nie bestätigt. Wer gibt schon gerne zu, dass er auf einer Freizeitaktivität weilt und die Geschäfte zu Hause quasi gegen den Weinberg laufen.

Die Sache hatte aber ein gutes Ende. Die Kellermeister, die gewissermaßen vor dem Ruin standen und den Mut der Verzweiflung aufnahmen, ernteten trotzdem die mittlerweile von Fäulnis angegriffenen Trauben, die meist schon am Schrumpfen waren. Und sie staunten nicht schlecht, als einige Monate später gerade dieser Wein ganz vortrefflich geriet. Dies ist die Entstehungsgeschichte der heutigen Prädikatsbezeichnungen wie Auslese, Beerenauslese oder Trockenbeerenauslese.

Wiege der Wissenschaft

Und noch ein Datum ist erwähnenswert. Im Jahr 1872 wurde in Geisenheim, bekannter Weinbauort im Rheingau, die Königlich Preußische Lehranstalt für Obst und Weinbau gegründet. In den zurückliegenden Jahrzehnten bildeten sich zahlreiche Winzer hier weiter und die Geisenheimer können mit Recht behaupten, dass viele erfolgreiche Winzer aus dem In- und Ausland ihre Kenntnisse aus ihrer Stadt bezogen. War die wissenschaftliche Einrichtung bis 2013 noch sowohl in separate Forschungsanstalt und in den Fachbereich Geisenheim der Hochschule RheinMain mit Hauptsitz in Wiesbaden getrennt, änderte sich das nach der Kooperationskündigung des Landes Rheinland-Pfalz. Als der Wissenschaftsrat, mithin das höchste wissenschaftliche Meinungsgremium in Deutschland, 2012 in Geisenheim eine „Hochschule neuen Typs“ vorschlug, ergriff das Land Hessen diese Chance und gründete 2013 die Hochschule Geisenheim. Die Hochschule hat quasi in Deutschland ein Alleinstellungsmerkmal mit ihren neun Bachelor- und neun Masterstudiengängen ausschließlich in den Bereichen Wein- und Gartenbau, Getränketechnologie oder Landschaftsarchitektur. Es gibt sogar einen englischsprachigen Studiengang in „International Wine Business“.

Übrigens – als wohl prägendste Entdeckung innerhalb der ehrwürdigen Forschungsmauern gilt die 1882 vom damaligen Geisenheimer Dozenten Hermann Müller, welcher aus dem schweizerischen Thurgau stammte, gezüchtete weiße Rebe, na klar, „Müller-Thurgau“. Dummerweise war sich Müller am Ende selbst nicht mehr sicher, welche Rebe er mit dem Riesling seinerzeit vermählt hatte. Erst eine gentechnische Untersuchung 1998 stellte fest, dass Mutter Riesling mit Vater „Madeleine Royale“ verbandelt wurde.

Und heute?

Nun, heute sind im Rheingau rund 3.200 Hektar bestockt und verteilen sich auf zwölf Großlagen und 118 Einzellagen. Rund 78 Prozent gehören dem Riesling, Platz 2 weit abgeschlagen belegt der rote Spätburgunder mit geradezu schlappen 13 Prozent. Der hier erfundene Müller-Thurgau fristet ein Nischendasein.

Es ist vergleichsweise trocken im Rheingau, nur rund 600 mm regnet es im Jahr aufgrund der exponierten Lage an den Südhängen bei ungefähr 1.600 Sonnenstunden. Etwas über 600 Betriebe bewirtschaften die Weinflächen im Rheingau. Und natürlich, wie jedes deutsche Weingebiet, ist die Gegend malerisch und lädt zum Wandern und Erkunden, Schippern auf Rhein und Mosel, Kulturbesuchen und Schlossbesichtigungen ein. Eltville mit seiner malerischen Altstadt, Rüdesheim oder 900 Jahre Weinkultur in Kloster Eberbach erleben, vielleicht ein Besuch auf Schloss Vollrads oder sie genießen eine Weinprobe im historischen Weinkeller auf Schloss Johannisberg. Na denn, viel Spaß im Rheingau!

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